Überlastete Kliniken, Bettenmangel, Personalmangel, Überschuss an Beatmungsgeräten, Abbau von Intensivbetten, teilweise sogar von Personal, Schliessung von Kliniken. Und das mitten in der Pandemie («flattening the curve!»), wo am 6. Januar, wenn die Zipfelmützen in Bern wieder tagen, noch mehr Ungemach in Form weiterer Verschärfungen droht? Kognitive Dissonanz in Reinkultur.
Könnten wir es doch mit Pippi Langstrumpf halten: «Ich mach mir die Welt widde widde wie sie mir gefällt.» Der Mensch ist ein wahrer Experte und regelrechter Künstler darin, die Realität zu verdrehen, Fakten zu ignorieren und Wahrheiten zu verbiegen, bis diese ins eigene Weltbild passen und leichter zu verdauen sind. Bevor Sie sich nun davon freisprechen: Das ganze geschieht unterbewusst und in Sekundenbruchteilen. Ein Paradebeispiel ist die kognitive Dissonanz. Passen unterschiedliche Wahrnehmungen nicht zusammen, wird alles dafür getan, um diese wieder stimmig zu gestalten und die kognitive Dissonanz zu überwinden. Dieser Wunsch ist zutiefst menschlich, doch gelingen tut es längst nicht immer…
Kognitive Dissonanz ist jener negative Gefühlszustand, der durch nicht vereinbare oder sich gegenseitig sogar ausschließende Wahrnehmungen (Kognitionen) ausgelöst wird. Dies können widersprüchliche Gefühle, Vorstellungen, Wünsche, Ziele, Einstellungen, Meinungen, Absichten oder Gedanken sein.
Wie kognitive Dissonanz aussehen kann, zeigt als Beispiel die Fabel vom Fuchs und den Trauben, die das Thema einfach und anschaulich auf den Punkt bringt:
Auf seiner Suche nach einer Köstlichkeit entdeckt der Fuchs einen Weinstock, an dessen Trauben er sich gerne gütlich tun würde. Doch was er auch tut, er kann die leckeren Früchte einfach nicht erreichen, weil diese zu hoch für ihn hängen. Als Reaktion rümpft er die Nase, verkündet lauthals, dass die Trauben ohnehin sauer seien und deshalb nicht schmecken würden und macht sich auf seinen Weg zurück in den Wald.
Die kognitive Dissonanz entsteht hier durch die klaffende Lücke zwischen dem Wunsch, die Trauben zu essen, und der Realität, diese einfach nicht erreichen zu können.
Während der Corona-Pandemie stecken wir in einer dauernden kognitiven Dissonanz: Während die Schweizer, Deutschen und Österreicher täglich von neuen Horrorgeschichten über kurz vor dem Totalzusammenbruch stehende Kliniken und überlastete Intensivstationen stehen, während erschöpfte und deprimierte, über der Zumutungsgrenze arbeitende Pflegekräfte und Ärzte Journalisten ihre Leidensgeschichten direkt in die Federn diktieren und während politische Angsthetzer und Funktionäre von drohenden Triagen unken: Da werden, erstaunlicherweise, in Deutschland reihenweise Kliniken geschlossen, auch in der Schweiz! – und das Klinikpersonal gewisser überlasteter Spitäler findet Zeit und Muße für Social-Media-Aktionen. Auch in Österreich.
In dieser Pandemie stimmt inzwischen nichts mehr. Völlig im Widerspruch zu der veröffentlichten, schlimmen Grenzsituation weisen offiziell zugängliche Quellen aus, wie in schöner Regelmäßigkeit Stationen, Abteilungen und Betten von Kliniken dichtgemacht werden – oder ganze Krankenhäuser gleich komplett geschlossen werden. Die Planungen dafür lagen bereits vor Corona in den Schubladen (Avenir Suisse, Bertelsmann-Stiftung) – nachdem seit Jahren auf die dringend erforderliche Verschlankung des Klinikangebots in der Breite zur Effizienzsteigerung und Erhöhung der Wirtschaftlichkeit im Gesundheitsbetrieb gedrängt worden war; übrigens just von den Politikern, die heute die Engpässe und Verknappungen beklagen und zum Vorwand für das komplette Herunterfahren des ganzen Landes nehmen. Allen voran Gesundheitsminister Jens Spahn, aber auch Karl Lauterbach redeten vor der Krise beharrlich einer Konzentration der Klinikinfrastruktur das Wort, die die notwendige Voraussetzung einer besseren Versorgung sei. Und auch Alain Berset wurde zum eidg. diplomierten Gesundheits-Sparfuchs.
Dass diese Planungen trotz Corona umgesetzt werden und teilweise sogar solche Kliniken inzwischen geschlossen werden, die noch im Frühjahr, kurz nach Ausbruch der „ersten Welle“, zu dezidierten, speziellen „Corona-Stationen“ umfunktioniert worden waren: Das passt nicht zum verbreiteten Trugbild eines überall am Limit kratzenden stationären Klinikbetriebs.
Showeinlagen für die wahre „Show“?
Und was noch weniger dazu passt, sind Ungereimtheiten in der öffentlichen Selbstdarstellung des Pflegepersonals, die so gar nicht zu den Mangel- und Überforderungsszenarien passen wollen, die uns hier seit Wochen als „Hintergrundmusik“ der Lockdown-Maßnahmen aufgetischt werden: Etwa die bemerkenswerte Tatsache, dass derzeit die sogenannte „Jerusalema-Dance-Challenge“ wie ein Fieber immer mehr Belegschaften von Kliniken erfasst.
Schon in über 50 Krankenhäusern haben Pfleger in leeren Klinikfluren teilweise perfekt einstudierte Tanzchoreographien und Musikeinlagen zum besten gegeben und in Social-Media oder YouTube präsentiert – um so Solidarität für ihren Einsatz zu heischen und auf „die Situation aufmerksam zu machen“. Wer sich diese Darbietungen anschaut, merkt schnell: So etwas ist nicht in der Mittagspause oder nach Feierabend mal so eben nebenher einstudiert; so etwas braucht Zeit. Viel Zeit, viel Energie und viel Geduld. Die Frage ist: Woher haben die Angestellten diese, wenn sie doch angeblich am oder über dem Belastungslimit arbeiten, für in Quarantäne geschickte Kollegen mit einspringen und den nicht enden wollenden Patientenzustrom ihrer „volllaufenden“ Stationen bewältigen müssen? Prinzipiell sind solche „Challenges“ ja eine tolle Sache und allen von Herzen gegönnt; doch wäre die Situation auch nur annähernd so schlimm wie behauptet, so bliebe den Helfern an vorderster Front für solche Choreos wohl kaum Zeit. Oder soll es gar eine Botschaft sein? Das wäre superclever, denn: Reden dürfen Spitalangestellte ja nicht. Da herrscht neben Masken- auch Maulkorbpflicht!