Die berühmte Schauspielerin Sigourney Weaver durchstöbert im Film von Pierre Jeunet «Alien-die Wiedergeburt» als Ellen Ripley die Gänge des terranischen Raumkreuzers «USM AURIGA». Dabei stösst sie auf ein Labor, in dem sich Gefässe aus Glas mit schrecklich deformierten Wesen befinden. Je tiefer sie in dieses Labor des Grauens eindringt, umso mehr merkt sie, dass die Präparate ihre eigenen Züge annehmen. Schliesslich gelangt sie zu einer grauenhaft entstellten Kreatur, die ihr sehr ähnlich sieht und muss erkennen, dass sie selbst bloss das Ergebnis einer langen Reihe gentechnischer Versuche ist, von denen die meisten entsetzlich fehlgeschlagen sind.
Der Film aus dem Jahre 1997 traf damals den Nerv der Zeit, war doch nur ein Jahr vorher das erste geklonte Säugetier «gezeugt» worden: Das Schaf Dolly. Die Fragen, die Jeunets Film aufwarf, sind heute noch aktueller geworden: Wenn erst Ersatzorgane gezüchtet werden und dann auch Gliedmassen – was geschieht als Nächstes? Was passiert mit den Abfallprodukten, die Ellen Ripley im Film in den Glasgefässen «bestaunt»?
Es begann 1950
Zu diesem Zeitpunkt waren solche Horrorvisionen noch weit weg: Zwei Wunderkinder wurden weltweit gefeiert: James Watson und Francis Crick für ihre Entschlüsselung der DNA. Deren ikonische Wendeltreppenstruktur, der die zwei Wissenschaftler in Cambridge auf die Spur gekommen waren, wurde als Entdeckung sogleich der Relativitätstheorie Albert Einsteins gleichgestellt.
Viel weniger Beachtung fand die Entdeckung der Boten-RNA (mRNA) durch den Südafrikaner Sydney Brenner und den Franzosen François Jacob im Jahre 1960. Dabei ist die mRNA (messenger-RNA) von zentraler Bedeutung für die Übersetzung der genetischen Information in die Struktur beziehungsweise Synthese der Eiweisse. Francis Crick stellte aber schon sehr früh das berühmte molekulare Dogma auf, wonach die genetische Information von der DNA zur RNA und schliesslich zu den Proteinen (Eiweissen) fliesst. Die theoretische Grundlage für die Entwicklung der heutigen mRNA-Impfstoffe war geboren.
Weiter geht’s 1970
Im kalifornischen Silikon Valley schnitten die Chefs in diesem Jahr ihren Angestellten die Krawatten ab, um ihnen symbolisch zu zeigen, dass sie nun Teil dieses grossen kreativen Chaos der tech-besessenen Nerds und Tüftler waren. In dem 80 km langen Landstreifen zwischen San Francisco und San José vollbrachten 1973 Stanley Cohen und Herbert Boyer das Kunststück, die DNA zweier nicht miteinander verwandter Organismen zu isolieren und neu zu kombinieren. Silikon Valley ist also mehr als nur IT…
Die beiden Wissenschaftler fügten ein Gen des afrikanischen Krallenfrosches in das Darmbakterium E. Coli ein und schufen damit die erste Mikrochimäre. Der berühmte Wissenschaftshistoriker Jeremy Rifkin bezeichnete diesen Schritt als «für die Welt der lebenden Materie der Nutzung des Feuers gleichkommend». 1976 erfolgte die Patentierung.
1981: rechtliche Grundlagen
Der Oberste Gerichtshof der USA (Supreme Court) erklärte in diesem Jahr ein gentechnisch verändertes, ölfressendes Bakterium, das der indisch-amerikanische Mikrobiologe Ananda Mohan Chakrabarty erschaffen hatte, für patentierbar – zuvor hatte der Gesetzgeber dies in Bezug auf Lebewesen untersagt.
Es schlägt die Monsanto-Stunde
Das in St.Louis ansässige US-Chemieunternehmen erkannte sofort die Gunst der Stunde: Es setzte blitzschnell auf den entstehenden Milliardenmarkt und schmiedete seine früh vor der Konkurrenz erworbenen Patente zu regelrechten Waffen um. In den 1990er Jahren wurde der Konzern (2018 übernommen vom Pharma-Riesen Bayer), zum Monopolisten im Geschäft mit gentechnisch veränderten Nutzpflanzen wie Soja, Mais, Baumwolle und Raps. Kritiker sehen in dem Monsanto-Aufstieg ein historisch präzendenzloses Hegemonialprojekt, das sich darauf beruht, die Kontrolle über die Codes des Lebens selbst auszuüben.
Joshua Lederberg, Nobelpreisträger für Medizin
Er hatte bereits 1967 (!) in Anlehnung an die mittelalterliche Kunst der Alchemie den Begriff der «Algenie» geprägt, um den dramatischen, durch die Biotechnologie hervorgerufenen Umwälzungen einen passenden philosophischen Namen zu geben. Der Visionär hatte Recht: In der Tat geht es um nicht weniger als eine völlige Neuschaffung der lebendigen Welt, in der es keine Artgrenzen mehr gibt, sondern in der sich menschliches, tierisches und pflanzliches Erbgut zu einer unendlichen Zahl neuer Kombinationen zusammenstellen lassen – ein luziferisches Vorhaben!
Der Weg zur Hölle
Dieser ist bekanntlich mit guten Vorsätzen gepflastert. Insbesondere die rote Gentechnik, die alle Anwendungen auf dem Gebiet der Medizin und Pharmazeutik umfasst, hat einige der erstaunlichsten wissenschaftlichen Karrieren der letzten Jahrzehnte hervorgebracht.
Zum Beispiel Katalin Kariko. Sie hat sich bereits 1973 in ihrer Doktorarbeit an der Universität der südungarischen Stadt Szeged mit den Ribonukleinsäuern befasst. 1985 siedelte sie in die USA über, an die Temple University in Philadelphia. Sie arbeitete fleissig an ihrem RNA-Thema weiter, das für viele Kollegen totlangweilig war. Dabei zählte die Ungarin weltweit zu den ersten Wissenschaftlerinnen weltweit, die etwas Fundamentales begriffen hatten: Wenn die mRNA den Bauplan für die Eiweisse bringt, ist sie aufgrund ihrer Möglichkeiten ein optimales Werkzeug für die Medizin. Wer die Herrschaft über dieses zentrale Uhrwerk der Biologie gewinnt, kann damit fast alles im menschlichen Körper steuern. Im 2005 soll Kariko mit Kollege Drew Weissman von der University of Pennsylvania die ersten mRNA-Seren hergestellt haben. Was damals kaum beachtet wurde, verändert heute bereits das Leben unzähliger Menschen.
Elon Musk und der Schmetterling
Die saloppe Bemerkung von Musk in einem Interview mit der «WELT», dass man sich mit der neuen Technologie auch in einen Schmetterling verwandeln könne, zeigt das geradezu unbegrenzte Missbrauchspotential auf, dass sich hier für Staaten und Konzerne auftut.
Gibt es noch etwas Gefährlicheres? Leider ja. Die Antwort lautet: Die Genschere, auch bekannt unter Crispr/Cas9. Mit ihr ist jetzt bis kurzem Unvorstellbares möglich. Davon mehr in Teil 2.