DOK 300: Braucht es eine Corona-Aufarbeitung?

von Thomas Tuna, Focus

«Es ist wieder Corona! Nein, keine Sorge – nicht mit neuen Toten oder zittrigem Blick auf die berüchtigte Sieben-Tage-Inzidenz. Aber pünktlich zum fünften Jahrestag des Pandemie-Ausbruchs soll nun bitte schön die Aufarbeitung starten, heißt es allerorten».

Offenbar muss das mindestens mit der gleichen Verve geschehen, die damals auch Impfskeptiker stigmatisierte.

Fast auf den Tag genau vor fünf Jahren hielt Angela Merkel ihre erste große Ansprache: „Es ist ernst. Nehmen Sie es auch ernst.“ Danach wurde mit dem Infektionsschutzgesetz alles wegdesinfiziert, was an Widerspruch auftauchte.

Ich weiß, wovon ich spreche, obwohl ich mich früh impfen ließ. Schon im Frühjahr 2020 schrieb ich ein paar Kommentare, weil mir die allzu saloppe Einschränkung diverser Grundrechte Sorgen machte. Jetzt müsse man Regierungskritik mal zurückstellen, warfen mir sogar Journalisten-Kollegen vor.

Nein, im Gegenteil: Die Vielfalt und Widerspruchsfähigkeit der Demokratie muss sich doch gerade dann beweisen, wenn’s existenziell wird.

Hat nicht geklappt. Aber so sind wir Deutschen: Mit großem bürokratischen Staatsbohei machen wir erst mal ziemlich viel falsch, um uns dann mit umso mehr Akribie um die Ursachenforschung zu bemühen.

Corona-Aufklärung: Stuhlkreis in Bellevue

Brauchen wir aber wirklich Stuhlkreise wie zuletzt bei Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Schloss Bellevue? Bleiben wir höflich: Während Corona und Impfpflichtkrach gehörte auch er nicht gerade zu denen, die für Toleranz und Meinungsvielfalt warben. Aus gleich drei Gründen halte ich weitere Betroffenheits-Inszenierungen deshalb für sinnlos.

Erstens: Das Projekt läuft ja längst. In Medien, Wissenschaft, Politik und vor Gericht, wo Korruption und Betrug rund um kriminelle Maskendeals und dubiose „Testzentren“ durchleuchtet und abgeurteilt werden. Daneben gibt es jene politischen Fehler, die halt unter dem anfänglichen Druck eines noch unbekannten Virus gemacht wurden. Nur: Wen soll man etwa für das einsame Sterben von tausenden alter Menschen, isoliert in Heimen, zur Verantwortung ziehen?

Und dann gibt es jene Maßnahmen-Desaster, in die man sich noch stürzte, als ihre Wirkungslosigkeit längst klar war. Etwa die monatelangen Schulschließungen, deren psychosoziale Folgen unseren Nachwuchs noch lange begleiten werden. Als berittene Polizei Spaziergänger von Parkbänken scheuchte und gefühlt nur noch fünf Kinder aus drei Haushalten bei Wahrung von 3G-Regeln, Maskenpflicht und Mindestabstand Geburtstagspartys feiern durften – da wusste ich, dass etwas sehr schieflief im Land.

Corona: Hass aufs „Team Freiheit“

Zweitens: Die Sehnsucht nach Aufarbeitung kommt mir vor wie der verzweifelte Versuch sehr später Anklagen einerseits oder eigener Rechtfertigung andererseits. Je nach Team, in dem man damals spielte. „Team Freiheit“ hatte es übrigens nicht leicht. Welcher Hass damals niederprasselte auf Leute, die einfach nur besorgt waren, ob man’s nicht längst zu weit treibt! Der Virologe Hendrik Streeck etwa, die Schriftstellerin Juli Zeh, die Philosophin Svenja Flaßpöhler, der Schauspieler Jan-Josef Liefers und viele andere! Auch das prägt bis heute.

Meine traurigste Erkenntnis aus jener Zeit: Demokratie kann auch von den vermeintlich Wohlmeinenden bedroht werden.

Drittens: Wer hat für solche Schwarze-Peter-Spiele wirklich noch Zeit und Nerven außer diversen „Querdenkern“, die man leider eh nicht mehr zum Dialog bringen wird? Die einen vertrauen seit Corona einem starken Staat, die anderen verachten ihn umso mehr. Das Virus hat Menschen getötet und unser Land gefährdet. Nachhaltig gespalten haben wir es selbst.

Dabei würde es völlig genügen, sich als Gesellschaft für die nächste Pandemie mehr gegenseitige Toleranz zu versprechen. Denn es gibt eben nie nur einen Weg, mit so einer Katastrophe umzugehen. Für diese Erkenntnis brauchen wir aber weder runde Tische, Arbeitskreise noch Untersuchungsausschüsse.