DOK 302: Marine LePen: 4 Jahre Gefängnis und 5 Jahre Wahlausschluss

Marine Le Pen, die Hauptkonkurrentin von Emmanuel Macrons liberal-autoritärem Frankreich, wird höchstwahrscheinlich nicht bei den französischen Präsidentschaftswahlen im Frühjahr 2027 antreten können. Ein juristischer Schachzug stellt die Oppositionsführerin politisch kalt.

Marine Le Pen und weitere EU-Parlamentarier wurden am Montag der Veruntreuung öffentlicher Gelder für schuldig befunden. Ein Pariser Gericht verurteilte sie zu einer vierjährigen Haftstrafe, davon zwei Jahre auf Bewährung, während die anderen zwei Jahre mit einer elektronischen Fußfessel abgeleistet werden können. Zudem wurde ihr für fünf Jahre das passive Wahlrecht entzogen, eine Maßnahme, die sofort in Kraft tritt. In aktuellen Umfragen zur Präsidentschaftswahl 2027 liegt sie deutlich vorne.

Zusätzlich muss Le Pen eine Geldstrafe von 100.000 Euro zahlen. Der Vorwurf bezieht sich auf die mutmaßliche Scheinbeschäftigung von Assistenten im Europäischen Parlament in den Jahren 2004 bis 2016. Konkret wurde ihr vorgeworfen, EU-Gelder in Höhe von mehreren Millionen Euro zweckentfremdet zu haben, indem sie Parlamentsassistenten bezahlte, die in Wirklichkeit für ihre Partei Rassemblement National (RN) und nicht für parlamentarische Aufgaben arbeiteten. Le Pen habe im Zentrum dieses organisierten Systems gestanden, urteilte das Gericht.

Die Entscheidung ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Le Pen wird Berufung einlegen, wodurch der Fall vor ein höheres Gericht kommt. Es ist allerdings unklar, ob dies überhaupt möglich sein wird.

Le Pen hatte bereits im Herbst angekündigt, dass Jordan Bardella als Ersatzkandidat für ihre Partei antreten werde, sollte ihr das passive Wahlrecht entzogen werden. Bardella sprach heute von einem „Racheakt der Staatsanwaltschaft“ gegen Le Pen und einem „Angriff auf die Demokratie“.

Auch der rumänische „Volkspräsident“ Călin Georgescu reagierte mit scharfen Worten: „Europa zeigt erneut sein wahres Gesicht: eine Diktatur, die jeden zerstört, der für sein Volk kämpft. Die Tyrannei kennt keine Grenzen.“ Ebenso verglich der bekannte Oppositionspolitiker Nicolas Dupont-Aignan den Fall mit Rumänien: „Rumänien vor ein paar Wochen und jetzt die Aberkennung der Wählbarkeit von Marine Le Pen für 2027: Das doppelte Maß der Regierung der Richter behindert die Volkssouveränität und untergräbt unsere Demokratien.“

Florian Philippot, ehemaliger Weggefährte Le Pens und nun Vorsitzender der souveränistischen Partei „Les Patriotes“, die im Gegensatz zu Le Pen einen Austritt aus EU und NATO fordert, schrieb: „Die Justiz der Mächtigen schlägt wieder zu: ein System, das die Seinen schützt und die anderen zermalmt. Die Souveränität des Volkes wird mit Füßen getreten.“

Dagegen erklärte Emmanuel Macron vor Journalisten im Élysée-Palast:

„Die Justiz hat gesprochen, und ich respektiere ihre Unabhängigkeit. Dieses Urteil ist ein klares Signal, dass niemand über dem Gesetz steht, unabhängig von seiner politischen Position. Es liegt nun an den Franzosen, die politischen Konsequenzen zu bewerten.“

Karin Kneissl, ehemalige österreichische Außenministerin und derzeit in Russland lebend, kennt die französische Politik gut. Sie kommentierte das Urteil:

„Frankreich, das von einer Reihe von Regierungswechseln erschüttert wurde und mit einem enormen Defizit konfrontiert ist, steuert nun auf sehr stürmische, unbekannte Gewässer zu. Bei den vorgezogenen Parlamentswahlen im Sommer 2024 gewann Le Pen die erste Runde. Für die zweite Runde wurde alles mobilisiert, damit die radikale Linke siegt. Seitdem befindet sich das französische Parlament in einem echten Sumpf. Die Regierungen wechseln ständig, wie es in der Dritten Republik der Fall war. Das schlimmste Szenario wäre, wenn ein parlamentarischer Streit in eine außerparlamentarische Konfrontation übergeht, also auf die Straße getragen wird. Das ist ein Risiko für viele EU-Länder, wenn bestimmten Personen die Kandidatur für politische Ämter verboten wird. Wir haben das in Rumänien gesehen. Frankreich ist sicherlich ein viel größerer Fall mit starken Auswirkungen.

Washington könnte höchstwahrscheinlich mit heftigen Worten reagieren, ähnlich wie Vizepräsident J. D. Vance auf der Münchner Sicherheitskonferenz im Februar erklärte: ‚Die wahren Gefahren kommen nicht von Russland oder China, sondern von innen.’“